Anne am Meer (X)

„Am Meer sitzen“, schrieb Anne in ihr Tagebuch, „viel mehr braucht es nicht zum Glücklichsein.“ Natürlich war ihr klar, dass es mehr braucht. Und doch, das Meeresrauschen machte reich: Das Salz auf den Lippen schmecken. Den Sand zwischen den Zehen spüren. Das Rauschen ins Herz lassen. Den Wind durchs Haar wehen lassen. Vielleicht waren es diese Nebensächlichkeiten, die alles ein wenig leichter und auch glücklicher machte. Nicht viel selbst tun müssen, geschehen lassen. Das Gegenteil von Alltag.

Anne (VI)

Ankommen ist das nur ein Wort, oder kann man es wirklich erreichen.

Ankommen. Anne dachte das Wort langsam und wog es in Gedanken hin und her. Es war ein leichtes Wort, aber mit einem schweren Grund. Wie ein Drache, der im Wind flog, aber an einem Band festgehalten wurde – oder wie ein großer Baum, dessen frühlingsgrüne Blätter im Wind rauschten, aber erst die Wurzeln gaben ihm festen Stand. All die Bilder, die Anne einfielen, hatten mit Wind zu tun. War der Wind gar der entscheidende Grund anzukommen? Der Wind, der so frei ist, der den Regen antreibt, die Wellen auf dem Meer anschiebt und der Anne durchs Haar weht? Kommt der Wind denn je irgendwo an?
Vielleicht, dachte Anne, hat das Gefühl vom Ankommen gar nichts mit dem Ankommen zu tun. Vielleicht hat ankommen eher mit sich selbst zu tun – mit „bei sich sein“.
Anne nippte an ihrem Cappuccino, da kam ihr in den Sinn: War es nicht auch ankommen, wenn sie mit vollem Genuss diesen Cappuccino trank? Und genau jetzt war sie in diesem Moment angekommen.

Das Leben würde sie immer wieder hinfort wehen und dann würde sie dem Wind zuhören und wissen – er wird sie begleiten.

Anne (I)

Sie stand zwischen den Welten. Eine, die unterging und eine andere, von der sie nicht wusste, was auf sie zukommen mag. Es war eine Zeit des Ungewissen. Etwas, was nicht mehr ist und etwas, was noch nicht war.
Sie musste aufpassen, dass sie nicht mit dem Wind davon flog. Weit weg, gen Meer. Dort wo sich das Salz auf ihre Lippen setzte und es schmeckte, wenn sie an ihnen entlang leckte. Am Meer kannte sie auch den Wind, der sie antrieb und ihr durchs Haar strich. Es war eine Zeit, in der nur der Wind und das Meer als Konstante erschienen.
Und da stand sie nun, wartete auf den Bus, der sie nach Hause bringen würde. Niemand wartete dort auf sie. Nur ein Schweigen und ein paar welke Blumen, die gegossen werden mussten. Eigentlich, dachte Anne, ist das nicht ihr Zuhause, sondern nur der Ort, an dem sie wohnte.
Bei dem Gedanken wurde sie traurig. Worauf lohnt das Warten, wenn es nur auf den Bus ist?
Die Blumen konnten allein warten. Sie ging los, die Straße entlang, an der Kirche vorbei, am Supermarkt, bog in eine Seitenstraße ein, ging an vielen Häusern entlang und ging. Sie wusste nicht wohin, aber sie würde schon merken, wenn sie angekommen ist.

Nächte

Auf meiner Zunge liegt noch das Salz deiner Haut. Die Nähe, die wir empfinden ist tief und wahr. Es macht mich glücklich dich zu sehen, in deine Augen zu schauen und dich zu schmecken und zu riechen und dich mit meinen Fingern zu erkunden.
Du hast mich gefragt was die Liebe macht. Ich konnte es dir nicht sagen. In mir habe ich das Gefühl, dass wir mehr sind als etwas, was im Bett funktioniert. Wir funktionieren auch unter der Dusche, in der Küche, in der Nacht und am Tag.
Ich würde gern mein Leben mit dir teilen. Ganz. Meinen Alltag dir schenken. “Lass uns alltäglich, aber nicht gewöhnlich werden.” Ein Satz, der mir schon einige Tage nach unserem letzten Treffen durch den Kopf geistert.
Heute sagtest du, dass ich die bin, die deinen Körper am besten kenne. Für mich ist das wie eine Liebeserklärung. Ich kann mir einfach nicht vorstellen, wie es sich jemand entgehen lassen kann, jeden Zentimeter von dir zu erkunden.

Diese Nacht, die wir durchquatschten im jenem Sommer, als ich dir erzählte, dass ich in Farben fühle. Irgendwie begann es dort damals, dort trafen wir uns wieder.
Die Monaten zogen ins Jahr. Es wurde wieder Frühling. Zwei Nächten schliefen wir eng umschlungen. Es passte alles zusammen. Es war einfach. Danach schien alles anders für mich. In mir fühlte es sich wahrhaftig an. Und alles, was nicht wahrhaftig war, schloss ich nach und nach aus meinem Leben aus. Ich konnte nicht anders.

Dann kam der Sommer. Die Nächte. In jeder hieltst du meine Hand beim Einschlafen. Wir redeten bis es hell war. Immer wieder. Flüsternd. Und dann diese eine Nacht. Voller Leidenschaft. Nur du & ich, der Mond und der Wald. Das veränderte mich wieder. Voll von dir.
Du fragtest mich, wie es weiter geht, dass du die Nähe nicht einfach an dir vorbei geht. Ob wir uns im Herbst wiedersehen. Wir schmiedeten Pläne. Du. Ich ahnte nicht, dass du es wahr machen würdest.
Das Treffen, das erste danach. Das war seltsam. Es passte nicht. Ich gehörte nicht zu deinem Alltag. Das war Alltag und nicht wahrhaftig. Und was nicht wahrhaftig ist, hast du mir gezeigt, lass ich sein.
Eine Winternacht – als wäre sie im Sommer. Gartenparty. Knutschen. Live Musik. Und du fragtest mich, ob ich nicht warten kann. Und du sagtest mir, dass du mich liebst. Ich weinte. Sehr. Am Morgen danach stellte ich mir zum ersten Mal uns vor. Ein Leben mit dir. Verwunderlich, dass ich es nie zuvor getan habe. Es überwältigte mich. Es machte mich glücklicher, als ich je zu hoffen gewagt hätte. Unerträglich glücklich.
Es folgte das neue Jahr. Wir schrieben uns. Du mir. Und wir trafen uns. Bei mir. Allein. Zum ersten Mal so richtig. Ohne Zufall. Mit Zeit. Nur wir. Und es war ein Genuss. Meine Finger erkennen dich wieder. Alles an dir. Kurzatmig.

Jetzt ist heute. Jetzt ist Leidenschaft. Es ist wieder Sommer. Wieder Nacht. Du kommst einfach in meinen Alltag. Ein wenig zu früh. Es dämmert noch. Doch dann atme ich dich. Schmecke dich. Rieche dich. Sauge dich ein. Das ist pures Glück. Alles.

Also frage mich bitte nicht mehr, was die Liebe macht, denn sonst müsste ich dir sagen, dass sie nichts macht, nur warten und nichts will – außer dich ganz.

In der Ferne

In die Nacht, das Blau hinein.
Fremde Stimmen klingen.
Möchte in der Ferne sein,
Dort wo die Möwen singen.

Am Meer, das schöne Leben,
Ist anders als das hier.
Dort lern’n Gedanken schweben.
Und Du wärst längst bei mir.

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