Angekommen (Anne IX)

Angekommen. Angekommen war Anne noch lang nicht. Nun war sie schon eine ganze Weile an diesem Ort, er war ihr Zuhause geworden. Und doch dachte sie wieder darüber nach wegzugehen, weiter weg denn je. Dabei war sie gar keine Wanderin. Sie fühlte nur tief in ihrem Inneren, dass dies nicht der Ort war, der sie halten könnte. Da fehlte was. Etwas, was keinen Namen trug. 

Anne am Meer (X)

„Am Meer sitzen“, schrieb Anne in ihr Tagebuch, „viel mehr braucht es nicht zum Glücklichsein.“ Natürlich war ihr klar, dass es mehr braucht. Und doch, das Meeresrauschen machte reich: Das Salz auf den Lippen schmecken. Den Sand zwischen den Zehen spüren. Das Rauschen ins Herz lassen. Den Wind durchs Haar wehen lassen. Vielleicht waren es diese Nebensächlichkeiten, die alles ein wenig leichter und auch glücklicher machte. Nicht viel selbst tun müssen, geschehen lassen. Das Gegenteil von Alltag.

Was bleibt (Anne VIII)

Was bleibt am Ende des Tages noch übrig. Von den Gedanken morgens unter der Dusche. Von dem Kaffee. Von den Worten am Telefon. Von den Gesichtern in der U-Bahn. Von den Vorhaben am Abend etwas Schönes zu machen – einen Fernsehfilm zu schauen oder in einem Buch zu lesen.

Was bleibt, wenn der Alltag daher plätschert.

Anne (VII)

Anne stürzte sich ins Leben. Bunte Bilder. Lachende Gesichter. Sekt und Kaffee. Eis und Pasta. Viele Menschen. Schöne Orte. Ein Leben fast wie im Telegramm-Stil. Ein Leben eben. Nur Leben. Und es fühlte sich gut an. Anne wollte mehr davon.
Sie überraschte sich selbst – fühlte Anne sich eben noch allein, stand sie nun mittendrin. Niemand hatte sie nach dem Warum gefragt. Wichtig war nur, dass ist, was ist.
Am Ende des Tages klebte Anne bunte Bilder in ihr Erinnerungsbuch. Mehr wollte sie gar nicht.

Anne (VI)

Ankommen ist das nur ein Wort, oder kann man es wirklich erreichen.

Ankommen. Anne dachte das Wort langsam und wog es in Gedanken hin und her. Es war ein leichtes Wort, aber mit einem schweren Grund. Wie ein Drache, der im Wind flog, aber an einem Band festgehalten wurde – oder wie ein großer Baum, dessen frühlingsgrüne Blätter im Wind rauschten, aber erst die Wurzeln gaben ihm festen Stand. All die Bilder, die Anne einfielen, hatten mit Wind zu tun. War der Wind gar der entscheidende Grund anzukommen? Der Wind, der so frei ist, der den Regen antreibt, die Wellen auf dem Meer anschiebt und der Anne durchs Haar weht? Kommt der Wind denn je irgendwo an?
Vielleicht, dachte Anne, hat das Gefühl vom Ankommen gar nichts mit dem Ankommen zu tun. Vielleicht hat ankommen eher mit sich selbst zu tun – mit „bei sich sein“.
Anne nippte an ihrem Cappuccino, da kam ihr in den Sinn: War es nicht auch ankommen, wenn sie mit vollem Genuss diesen Cappuccino trank? Und genau jetzt war sie in diesem Moment angekommen.

Das Leben würde sie immer wieder hinfort wehen und dann würde sie dem Wind zuhören und wissen – er wird sie begleiten.

Anne (III)

Im Café. Der Kaffee ist heute stark, fast zu stark. Menschen laufen vorbei. Die Sonne scheint, aber es ist noch kalt. Ein schöner Februartag, der schon ein Hauch Frühling verspricht.

Anne nippt an ihrem Kaffee. Ihre Oma hatte immer gesagt: „Je dünner das Porzellan, desto feiner.“ Diese Kaffeetasse ist also nicht fein, dafür ist sie weiß. Das passt zur Zeit, dachte Anne. Einfach mal eine Farbe dranklatschen und meinen es sei jetzt neu. Dabei kommt es doch auf die inneren Werte an, verdammt nochmal auch bei einer Kaffeetasse. Denn was bringt die schönste Tasse, wenn der Kaffee nicht schmeckt.

Darüber musste sie noch einmal nachdenken.

Anne (II)

Es war ein Morgen wie jeder anderer.  Der Wecker klingelte viel zu früh. Und es bedurfte einer zweiten Aufforderung des Weckers bis sie aufstand. Der Himmel graute auf. Der Tag war noch ein Versprechen.

Auf dem Weg zur Bushaltestelle spannte sie ihren blauen Regenschirm auf. Der Nieselregen würde ihre Locken sowieso schon genügend aufdrehen. Ihre Augenlider waren bleiernd, die Nacht zu kurz. Gedanken hatten sie schlaflos gemacht – über all das müsste und könnte doch.
Aber der Tag war gnädig zu ihr, denn der Bus kam als sie um die Ecke bog. Heute musste sie nicht warten. Die Welt zog an ihr vorbei. Der Tag im Büro begann. Doch die Gedanken hörten nicht auf. Sie spielte mit ihren Locken.
Wie gut wäre es, dachte Anne, sie könnte sich unsichtbar machen, aber ohne so einen doofen Umhang. Wer will den denn immer bei sich tragen? Eher wie ein Ein- und Ausschalten mit einer Geste, wie wenn man sich eine Strähne hinter das Ohr streicht.
Und schon im nächsten Moment strich sie sich eine Locke hinter das Ohr und stellte sich vor sie sei nun unsichtbar. Lächelnd nippte Anne an ihrem Kaffee. Endlich Ruhe.

Anne (I)

Sie stand zwischen den Welten. Eine, die unterging und eine andere, von der sie nicht wusste, was auf sie zukommen mag. Es war eine Zeit des Ungewissen. Etwas, was nicht mehr ist und etwas, was noch nicht war.
Sie musste aufpassen, dass sie nicht mit dem Wind davon flog. Weit weg, gen Meer. Dort wo sich das Salz auf ihre Lippen setzte und es schmeckte, wenn sie an ihnen entlang leckte. Am Meer kannte sie auch den Wind, der sie antrieb und ihr durchs Haar strich. Es war eine Zeit, in der nur der Wind und das Meer als Konstante erschienen.
Und da stand sie nun, wartete auf den Bus, der sie nach Hause bringen würde. Niemand wartete dort auf sie. Nur ein Schweigen und ein paar welke Blumen, die gegossen werden mussten. Eigentlich, dachte Anne, ist das nicht ihr Zuhause, sondern nur der Ort, an dem sie wohnte.
Bei dem Gedanken wurde sie traurig. Worauf lohnt das Warten, wenn es nur auf den Bus ist?
Die Blumen konnten allein warten. Sie ging los, die Straße entlang, an der Kirche vorbei, am Supermarkt, bog in eine Seitenstraße ein, ging an vielen Häusern entlang und ging. Sie wusste nicht wohin, aber sie würde schon merken, wenn sie angekommen ist.

Es ist nicht das Warten…

An der Haltestelle stehend. In wenigen Minuten kommt der Bus. Es ist Herbst. Es ist dunkel. Es ist 19.27Uhr – zeigt die Uhr gegenüber, die sich dreht und Werbung der Apotheke trägt.
Es ist nicht das Warten, sagt Paula, es ist das Worauf. Dabei schaut sie auf die Uhr, die sich dreht. Weißt du, es ist wie mit der Uhr: Die Welt, auf der wir stehen, dreht sich stetig, aber wir bekommen nichts davon mit. Nicht weil sie sich zu langsam drehen würde, sondern weil wir es gewohnt sind. Bekommt die Zeit mit, dass sich die Uhr dreht?
Es ist nicht das Warten, sagt Paula, doch worauf noch warten, wenn nichts kommt. Selbst auf den Bus ist kein Verlass. Ob morgen die Sonne aufgeht oder nicht, ändert nichts daran. Es ist 19.30Uhr.
Wann fragen wir uns noch, wonach wir uns sehnen, wonach wir streben, wohin es uns aus tiefsten Herzen ruft. Tagein, tagaus. Pflichten erfüllen. Geld verdienen. Haken dran machen. Doch wann hinterfragen wir wohinter wir die Haken setzen und ob wir die überhaupt setzen wollen. Es ist 19.33Uhr.
Es ist nicht das Warten, sagt Paula, warten kann schön sein. Wie die Vorfreude auf einen Kuss, wie auf den fertigen Kuchen, der schon aus der Küche duftet, wie auf einen schönen Sommertag am Strand, nach einem harten Winter. Der Bus kommt.
Das Warten ist es nicht, warten ist hoffen. Das ist das gute Warten. Das Warten, das mehr kennt als den Bus, als die Uhr, die sich dreht, als das Morgen.
Es ist nicht das Warten, sagt Paula, es ist das Worauf.

In der Ferne

In die Nacht, das Blau hinein.
Fremde Stimmen klingen.
Möchte in der Ferne sein,
Dort wo die Möwen singen.

Am Meer, das schöne Leben,
Ist anders als das hier.
Dort lern’n Gedanken schweben.
Und Du wärst längst bei mir.

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